Teilnehmende

Speichelprobe

 

In der vergangenen Haushaltsbefragung haben wir unser Befragungsprogramm um ein neues Element erweitert: die Speichelprobenentnahme. Diese greift auf ein völlig harmloses Verfahren zurück, welches wir Ihnen im Folgenden erklären möchten. Die gewonnene DNA soll dann in die Auswertungen der Daten mit aufgenommen werden. DNA ist die englische Kurzbezeichnung für „Desoxyribonukleinsäure“ (DNS). Die gewonnene Probe wird es Forscher*innen in Zukunft ermöglichen, einen noch bedeutenderen Beitrag zur aktuellen Wissenschaft zu leisten. Im folgenden Text sowie im eingebundenen Video, finden Sie umfassende Informationen zum Hintergrund der DNA-Erhebung, dem Vorgehen sowie dem Weg der Daten.

Aus den Speichelproben, die in der letzten Haushaltsbefragung entnommen wurden, gewinnen wir in den ➔Laboren des Uniklinikums Bonn DNA für unsere Forschung. In der letzten Befragungsrunde wurde diese Speichelprobe bei einigen Teilnehmenden nun nachgeholt. Die DNA ist der Träger der Erbinformation, also die materielle Basis der Gene. Zunächst muss sie aus dem Speichel gewonnen („extrahiert“) werden.

Jeder Mensch besitzt in seinen Körperzellen DNA – sie ist der einzigartige „Bauplan“ jedes Lebewesens und enthält dessen gesamte Erbinformation. Sie setzt sich aus mehreren ➔Basenpaaren zusammen. Beim Menschen finden sich circa drei Milliarden Basenpaare in der DNA.

Doppelhelix der DNA und die Basenpaare Guanin mit Cytosin und Adenin mit Thymin (digitales Modell).

Die Abfolge dieser Basenpaare ist an den meisten Stellen der DNA für alle Menschen gleich. An einigen Stellen weicht die Abfolge der Basenpaare jedoch zwischen Menschen ab. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass solche Unterschiede für Variationen in menschlichen Merkmalen, wie z. B. der Körpergröße oder der Augenfarbe, verantwortlich sind. Die bisherige Forschung hat jedoch auch gezeigt, dass sich nicht nur solche körperlichen Eigenschaften über Unterschiede in der DNA erklären lassen. Darüber hinaus beeinflussen sie auch zu einem gewissen Anteil das Erleben und das Verhalten von Menschen.

Individuelle Merkmale werden in der Regel nicht durch eine einzige, sondern durch viele Variationen von Basenpaaren gemeinsam beeinflusst. Diese Basenpaar-Variationen werden Einzelbasenaustausche (englisch: Single Nucleotide Polymorphisms bzw. SNPs, sprich „Snips“) genannt. Genetische Analysen versuchen herauszufinden, welche Kombinationen von SNPs dazu beitragen können, Unterschiede zwischen Menschen zu erklären; also z. B. zu erklären, warum manche Menschen leicht auf andere zugehen können, während anderen das schwerer fällt.

Geplante Analysen
Insbesondere wollen wir untersuchen, inwiefern bestimmte Angaben, die in den TwinLife-Fragebögen gemacht wurden, mit Unterschieden in den genetischen Daten (hier die SNPs) zusammenhängen. Dazu vergleichen wir Gruppen, die ein bestimmtes Merkmal aufweisen, wie z. B. eine gewisse Körpergröße, mit Gruppen, die kein solches Merkmal aufweisen und untersuchen, ob zugleich Unterschiede an bestimmten Stellen in der DNA vorliegen. Die Betrachtung der Basenabfolgen in der DNA über Gruppen mit verschiedenen Merkmalen hilft uns also zu verstehen, inwieweit die Gene diese Merkmale mitbestimmen.

Wie bei einem Foto, von dem man nur einen kleinen Ausschnitt sieht, tragen einzelne Abschnitte oder Stellen in der DNA nur sehr wenig zur Erklärung von Unterschieden in den meisten Merkmalen bei. Betrachtet man jedoch viele solcher Abschnitte zusammen, und vervollständigt damit das Foto, lässt sich viel mehr erklären. Durch dieses Vorgehen konnten bereits eine Reihe von Abschnitten in der DNA identifiziert werden, die beispielsweise mit schulischem Erfolg zusammenhängen. Das bedeutet, dass diese genetischen Variationen einen Teil dessen aufklären, warum manche Menschen Erfolg in der Schule haben und andere weniger.

Nutzen
Mithilfe von genetischen Daten können wir uns mehr und mehr der Frage annähern, welche Teilbereiche der Gene Einfluss auf die Ausbildung sozialer Ungleichheit haben. Aus Zwillings- und anderen vergleichbaren Studien wissen wir, dass Gene nicht alleine für die Entwicklung menschlicher Merkmale verantwortlich sind. Die Umwelt, die uns umgibt, hat ebenfalls deutlichen Einfluss darauf, wie wir uns verhalten und wie wir uns entwickeln. In diesem Zusammenhang bietet die TwinLife-Studie Forscher*innen weitreichende Möglichkeiten, solche Zusammenhänge zu untersuchen und besser zu verstehen. Denn um die Bedeutung der Umwelt genau zu ermitteln ist es nötig, diese umfassend zu betrachten. Mit Hilfe der TwinLife-Daten ist dies besonders gut möglich, da wir hier eine große Bandbreite an Aspekten erfragt haben, die die Umwelt der Teilnehmenden der Studie beschreiben.

Wofür wird die zweite und dritte Speichelprobe benötigt?

Mit der zweiten und dritten Speichelprobe sollen epigenetische Effekte untersucht werden. Diese betrifft nur all diejenigen Personen, die bereits eine erste Speichelprobe abgegeben haben.

Die Epigenetik (von altgriechisch: epi = „über“, „dazu“ und Genetik) bezeichnet die zeitweise Veränderung der Aktivität des Erbguts durch Umwelteinflüsse. Während das Erbgut eines Menschen in seiner Struktur unveränderlich ist, gilt dies nicht für dessen Aktivität. Man kann sich dies vorstellen wie bei einem Lichtschalter, bei dem das Licht von jemandem ein- oder ausgeschaltet wird. Dieser Jemand wäre im vorliegenden Fall die Umwelt. Teile des Erbgutes sind also nicht immer aktiv und können, vermittelt über bestimmte Einflüsse in der Umwelt, in ihrer Aktivität beeinflusst werden. In dem noch recht jungen Forschungsgebiet der Epigenetik werden solche Einflüsse der Umwelt auf die Aktivität der Gene untersucht.

Lange Zeit ging man davon aus, dass der Einfluss der DNA auf verschiedenste menschliche Eigenschaften von Anfang an festgeschrieben und unveränderlich sei. Höchstens ➔Genmutationen wurde die Fähigkeit zugesprochen, das Erbgut zu verändern. Diese Sichtweise geriet allerdings ins Wanken, als man in den frühen 2000er-Jahren mit Daten aus Schweden herausfand, dass die Enkel von Männern, die vor ihrer Pubertät eine Hungersnot durchlebt hatten, seltener von Diabetes oder Herzerkrankungen betroffen waren, im Vergleich zu den Enkeln derer, denen es nie an Nahrung mangelte (Kaati et al., 2002). Aus dieser Beobachtung wurde die Frage abgeleitet, wie dies sein konnte, wo doch der Aufbau der DNA nicht veränderlich ist. Der Umwelteinfluss Hunger, so folgerten die Forscher*innen, schien doch etwas an den Genen verändert zu haben, so dass diese Veränderung an die kommenden Generationen weitervererbt werden konnte. Diese und zahlreiche weitere Studien, die sich mit generationsübergreifenden Umwelteinflüssen beschäftigten, legten den Schluss nahe, dass Veränderungen in der Umwelt zwar nicht den grundlegenden Aufbau der DNA verändern können, wohl aber einen Einfluss auf die Aktivität bestimmter Gensequenzen haben können. Mehr noch verdeutlichen diese Forschungen, dass diese epigenetischen Veränderungen über Generationen hinweg weitergegeben werden können und sich so selbst dann noch auf die Genaktivität auswirken, wenn die Umweltveränderungen gar nicht mehr vorhanden sind.

Da ein einzelner Mensch unzählige Umwelterfahrungen macht, ist es äußerst schwierig, epigenetische Einflüsse auf individueller Ebene ausfindig zu machen und zu untersuchen. Breite Veränderungen in der Umwelt, die Bevölkerungsgruppen oder ganze Nationen betreffen (z. B. Krieg oder Hungersnot), können genutzt werden, um epigenetische Feldforschung zu betreiben. Darüber hinaus wird als häufiger Auslöser eines solchen An- und Abschaltens der Gene Stress beschrieben, der durch beschwerliche Umwelterfahrungen und mangelnde Ressourcen zur Bewältigung dieser ausgelöst werden kann.

Corona und soziale Ungleichheit

Die Corona-Pandemie hat seit Anfang 2020 zu deutlichen Veränderungen im Leben vieler Menschen geführt und dabei neue, große Unsicherheiten erzeugt. Den Stress den viele Menschen durch die Pandemie und ihre Folgen erleben, können jedoch nicht alle Menschen in gleicher Weise bewältigen. Wie jede einzelne Person betroffen ist und mit den Folgen der Pandemie umgeht, soll in der kommenden TwinLife-Befragungsrunde näher beleuchtet werden. Inwiefern besonders betroffene Gruppen (z. B. Personen in ärztlicher Behandlung, Berufseinsteiger, Selbstständige, Familien mit schulpflichtigen Kindern) mit den Herausforderungen der Krise zurechtkommen, hängt neben der wirtschaftlichen und sozialen Situation von Familien auch von den persönlichen Eigenschaften ab. Dabei, so ist unsere Vermutung, könnten auch erblich bedingte Faktoren von großer Bedeutung sein, wie z. B. die Robustheit gegenüber Stress, das Temperament oder die Persönlichkeit.

Es scheint daher plausibel, dass eine solche Krise die Bedeutung von Ungleichheiten, die vorher schon bestanden haben, deutlich verstärkt.

Mit Hilfe der Daten aus der zweiten und dritten Speichelprobe wollen wir daher untersuchen, inwiefern die gravierenden Veränderungen im Leben der Menschen durch die Corona-Pandemie epigenetische Auswirkungen haben. Dies ist nur über den Vergleich der Daten der ➔ ersten mit den Daten der weiteren Speichelproben möglich. Dadurch kann die TwinLife-Studie bei der Erforschung dieses brandaktuellen und überaus spannenden Forschungsgebiets einen wichtigen Teil beitragen.

 
Zur Vertiefung der biochemischen epigenetischen Prozesse, welche auf molekularer Ebene ablaufen:

 

Verweise:

https://www.spektrum.de/news/vaters-erbsuende/1258600
Kaati, G., Bygren, L. O. & Edvinsson, S. Eur. J. Hum. Genet. 10, 682–688 (2002).
Wie gelangt meine DNA ins Labor?

Damit die SNPs untersucht werden können, benötigt man eine DNA-Probe. Um diese zu erhalten gibt es verschiedene Methoden. In TwinLife nutzen wir dabei eine sehr einfache Variante: Die Speichelprobe. Diese Probe wird so gewonnen, dass Speichel in einem Behältnis gesammelt und beim Verschließen der Probe mit einer konservierenden Flüssigkeit versetzt wird. Die gesammelte Probe wird mit einem Strichcode versehen, der es ermöglicht, Ihre Probe zu Ihren Studiendaten zuzuordnen und die Probe wird anschließend an ein Labor gesendet. Dort werden die Proben ausgewertet und in einen analysierbaren Code transformiert, damit dieser in der Forschung, zusammen mit den weiteren Befragungsdaten, verwendet werden kann.